Von der engagierten Kunst zum demokratischen Artivismus
Einleitung
In der Ausstellung „Changemakers“ geht es um die Frage, inwieweit Kunst als Vehikel für gesellschaftlichen Wandel dienen kann. Zu diesem Zweck werden Arbeiten mehrerer Generationen bildender Künstlerinnen und Künstler nebeneinandergestellt. Es handelt sich um Werke europäischer Kunstschaffender aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich mit sozialen und politischen Themen befassten, und Arbeiten junger zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die dem Artivismus zuzurechnen sind. Artivismus ist ein hybrides Genre, bei dem Arbeitstechniken aus dem Bereich der bildenden und darstellenden Künste mit den Strategien und Zielen des Aktivismus verbunden werden.[i]
Beide Künstlergenerationen sehen ihre Arbeit als politisch an, und zwar nicht nur in ideologischer und poetischer Hinsicht, sondern auch unter technischen und materiellen Gesichtspunkten. Sie betrachten ihr künstlerisches Schaffen als Kommunikation im Namen der Gemeinschaft, der sie angehören, sowie als kritische Stellungnahme zu aktuellen Themen von sozialer Bedeutung.
Darüber hinaus haben etliche der ausgewählten Artivistinnen und Artivisten, wie in diesem Katalog deutlich wird, Parallelen zwischen den Verfahren, Strategien und kollaborativen Formen ihrer künstlerischen Arbeit und den für eine parlamentarische Demokratie typischen Beratungs-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen gezogen.
Bei der Auswahl von Werken aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst des Europäischen Parlaments lag der Schwerpunkt auf Kunstschaffenden, die ihre gesamte Laufbahn hindurch und in ihren Werken gezeigt haben, dass sie sich für die sozialen und politischen Fragen ihrer Zeit mitverantwortlich fühlen, wie Emilio Vedova, A. R. Penck, Georg Baselitz, Felix Droese, Darío Villalba, Jannis Kounellis und Adolf Frohner. Ihr Schaffen wie auch ihre Zugehörigkeit zu Künstlergruppen und ihre Unterstützung von Manifesten bezeugen, dass sie bereit sind, gegen historische, politische und soziale Verhältnisse zu protestieren, welche die Gedanken- und Meinungsfreiheit einschränken oder bedrohen könnten.
Manche scheuten auch nicht davor zurück, sich mit Themen, Fragen und Gegebenheiten zu befassen, die der Öffentlichkeit und der politischen Elite unangenehm sind. Zu ihnen gehören Künstler wie Darío Villalba, Claus Carstensen oder Giannis Psychopedis. In ihren Werken kommt durchgehend die Überzeugung zum Ausdruck, dass sie sich als Maler oder bildender Künstler der Verantwortung nicht entziehen können, auf die Sichtweise der Betrachter ihrer Werke Einfluss zu nehmen.
In Ergänzung der bereits genannten Künstler und zur Herstellung eines Gegenwartsbezugs umfasst die Ausstellung auch Beiträge junger Artivistinnen und Artivisten. Viele von ihnen haben im Rahmen des Projekts „Pop the vote! Culture on the ballot“, das vom Netzwerk Culture Action Europe ins Leben gerufen wurde und an dessen Finanzierung das Europäische Parlament beteiligt war, ein Kunstwerk oder eine Intervention geschaffen. Das Hauptziel dieser Initiative bestand darin, junge Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, an der Europawahl 2024 teilzunehmen, insbesondere in Ländern wie Belgien, in denen das Wahlalter gesenkt wurde.
Mit der Ausstellung soll die Arbeit europäischer Kunstschaffender gewürdigt werden, deren Schaffen einem Bekenntnis zur politischen Freiheit und Meinungsfreiheit gleichkommt, wofür einige von ihnen auch Risiken für sich selbst und ihre berufliche Entwicklung in Kauf genommen haben. Diese Künstlerinnen und Künstler haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, die technischen und thematischen Grenzen der bildenden Künste zu erweitern, Gepflogenheiten infrage zu stellen und die Zensur herauszufordern.
Die ausgewählten Werke wurden gemäß den wichtigsten Themen, die sowohl in den Werken aus der Sammlung des Parlaments als auch im Rahmen des Artivismus der jungen Generation präsent sind, in vier Kapitel untergliedert.
- 1. Meinungsfreiheit, Freiheit des gestischen und des sprachlichen Ausdrucks
- 2. Ethik und politische Freiheit, Demokratie und Stimmabgabe
- 3. Migration: Integration und europäische Identität
- 4. Fürsorge für die Schwächsten
- 5. Additional Resources
[i] Nossel, S., ‘Introduction: On ‘Artivism,’ or Art’s Utility in Activism’, Social Research: An International Quarterly, Vol. 83, No 1, 2016, pp. 103-105. Project MUSE, https://doi.org/10.1353/sor.2016.0023.
Aus organisatorischen und technischen Gründen werden möglicherweise nicht alle hier aufgeführten Kunstwerke an allen Orten ausgestellt, an denen die Ausstellung gezeigt wird (zunächst in Brüssel und Straßburg).